Inklusion als Teil der Digitalisierung
Gastbeitrag von Inclusify


Durch die „Schöne neue Welt“, wie die Digitalisierung oft genannt wird, sollen Alltagsprobleme gelöst, Prozesse vereinfacht, Geschäftsmodelle transformiert und zukunftssicher gemacht werden. Alle sollen davon profitieren – in der Öffentlichkeit, der Arbeitswelt und im Alltag zu Hause. Doch profitieren tatsächlich alle Gesellschaftsteile davon?

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Smart Home – das integrative Leben.

Stellen wir uns doch einmal das ideale Wohnhaus vor, wie es die Smart Home Werbespots der großen US-Techkonzerne, aber auch etablierter deutscher Traditionsunternehmen wie Bosch oder AEG propagieren. Wir kommen nach Hause, die Hände schwer beladen mit Einkäufen. Im Fahrstuhl streichen wir mit einem freien Finger über das Touchpad und der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. „Vierter Stock“ steht da auf ultrascharfen LED-Display. Wir steigen aus, stehen an der Haustür und sagen „Türe öffnen“. Magisch schwingt die Haustüre auf. Wir treten ein und sprechen weiter: „Licht an, Heizung auf 26 Grad, Briefe digitalisieren und auf Kühlschrankdisplay anzeigen“. Die Einkäufe legen wir ab und räumen sie in den Kühlschrank ein. Das Kühlschrankdisplay zeigt Rechnungen und einen Brief des Vermieters mit der Bitte um Unterschrift per digitaler Signatur. Wir erledigen das schnell per Daumenabdruck auf diesem Display, bevor wir weiter einräumen. Glücklicherweise konnten wir im Einkaufzentrum mit dem Smartphone auf die Kamera im Kühlschrank zugreifen und haben gesehen, dass keine Milch mehr im Schrank steht. Der Algorithmus hat uns sogar per Textnachricht darauf aufmerksam gemacht, dass die Marmelade vor einer Woche abgelaufen ist. Was für eine schöne neue komfortable, nachhaltige Welt, oder?

Digital heißt nicht barrierefrei

Nun stellen wir uns einmal das gleiche Wohnhaus vor. Wir kommen ebenfalls vom Einkaufen, haben aber unsere kleine schreiende Tochter auf dem Arm. Im Fahrstuhl müssen wir uns entscheiden, ob wir die Tochter oder die schwere Einkaufstasche ablegen, um das Touchpad des Fahrstuhls zu bedienen. Oben angekommen beginnt die Kleine erneut laut zu weinen. „Haustüre öffnen“ sagen wir. „Ich habe Sie nicht verstanden“ sagt die Haustüre. „Haustüre öffnen“ schreien wir lauter. „Fenster öffnen“ hallt es vom Gang. Die Flurfenster öffnen sich und lassen die Kälte von draußen ein. Beim dritten Mal haben wir Erfolg. Endlich. Was eine anstrengende, neue Welt, oder?

Stellen wir uns abschließend nochmal das gleiche Wohnhaus vor. Wir sind seit knapp zwei Jahren in Deutschland, immigriert aus USA, Frankreich oder Afghanistan. Die deutsche Sprache ist noch schwer für uns, aber wir lernen jeden Tag. Auf dem rechten Auge haben wir 15 Prozent Sehkraft, auf dem linken sind es immerhin noch 30 Prozent. Als wir in den Fahrstuhl steigen, tasten wir nach den Knöpfen. Unsere Finger finden aber nur das glatte Display, das für unsere Augen verschwommene Zahlen zeigt. „Vierter Stock“ sagen wir. Nichts passiert. Nachdem wir die Treppen in den vierten Stock genommen und durch den Flur zu unserer Haustür gefunden haben, sagen wir in schlechtem Deutsch: „Tür offnen“. „Ich habe sie nicht verstanden“ antwortet die Haustüre. Wir versuchen es auf Englisch erneut: „Open door“. „Dieses Sprachpaket wird nicht unterstützt“ ist die Antwort. Was eine anstrengende, exklusive neue Welt, oder?

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Digitales Angebot und Nachfrage – die Gretchenfrage

Was glauben Sie? Schafft es die Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm – situativ eingeschränkt – die Kühlschranktür zu öffnen, den Brief des Vermieters zu unterschreiben? Kann sie mit dem schreienden Kind die Heizung per Sprachbefehl steuern? Schafft es eine nicht nur situativ, sondern dauerhaft eingeschränkte Person mit geringer Sehkraft, Zahlen oder gar Briefe von einem Display abzulesen? Ist die Person der deutschen Sprache so mächtig, dass sie die Heizung steuern kann oder gar den Brief verstehen wird? Und was ist mit der Textnachricht des Kühlschranks? Ob die Person wohl Marmelade gekauft hat? Oder anders gefragt: Können diese Personen jemals in eine solche Wohnung einziehen?

Dieses Gedankenspiel verdeutlicht, wie die Digitalisierung in vielen Fällen heutzutage erdacht wird. Einseitig komfortabel, einsprachig, ausschließend und wenig barrierefrei. Warum auch anders denken, sind doch Eingeschränkte und Behinderte für viele auch keine Zielgruppe. Und unter uns: manchmal ist man schon froh, wenn man die Installation einiger digitaler Helferlein schon nachweisen kann. Welche Konsequenzen das aber manchmal haben kann, wird selten durchdacht.
Wussten Sie, dass 7,9 Millionen Menschen in Deutschland schwerbehindert sind und die Zahl Jahr für Jahr zunimmt? Dabei sind nur 3 Prozent aller registrierten Behinderungen angeboren, der Rest entfällt auf Krankheiten, Unfälle oder altersbedingte Einschränkungen. Fast 80 Prozent aller Schwerbehinderten sind 55 Jahre oder älter. Vergessen wir dabei nicht die Personen, die situativ eingeschränkt sind, weil sie ein oder gleich mehrere Kinder auf dem Arm halten oder der deutschen Sprache nicht mächtig sind. All diese Menschen bilden einen immer größer werdenden Teil unserer Gesellschaft ab. Sollen Sie nicht auch von der Digitalisierung profitieren können?

Grundlagen der Inklusion bei der Digitalisierung mitdenken

Dabei sind die allermeisten Lösungen bereits vorhanden. Wenn ein Smartphone durch Sprachsteuerung bedient werden kann, warum dann nicht auch ein Fahrstuhl? Warum nicht auf Englisch, Französisch oder Arabisch? Das gleiche gilt für die Haustüre oder das Heizungssystem. Können Briefe und Mails, Anleitungen und Broschüren, nicht simultan übersetzt und vorgelesen werden?

Dabei bedarf es nicht immer teurer integrierter Lösungen und Programmierleistungen. Stellen sie sich ein digitales Leitsystem vor, dass auf Bluetooth-Basis und mit dem Smartphone oder der Smartwatch des Anwenders funktioniert. Er findet dabei sein Ziel durch Vibrationen. Bluetooth ist bereits häufiger installiert, als man denkt, zum Beispiel in fast allen WLAN-Access Points. Fast alle Anwendungen nehmen schon heute Sprachbefehle entgegen, Apps übersetzen simultan, Spiele und Programme nutzen heute schon Brillen für unterstützende VR (Virtuelle Realitäten). Technologie, KI, Schnittstellen und Algorithmen dahinter stehen Lösungsanbietern meist kostenfrei zur Verfügung.

Inklusion als Basis für digitale Lösungen

Die Corona-Pandemie hat einen Quantensprung in der Digitalisierung ausgelöst. Viele Wirtschaftsunternehmen mussten unflexible Arbeitsweisen, einseitige Angebote, komplizierte Prozesse und damit oft ihre Geschäftsgrundlage innerhalb kürzester Zeit ändern. Diejenigen, die so flexibel waren, dies schnell zu tun oder diejenigen, die schon lange einen flexibleren Weg eingeschlagen haben, kommen besser durch die Krise. Der Erfolg hängt dabei stark davon ab, wie durchdacht die Umstellung erfolgte. Ein Laptop macht noch kein Home Office, genauso wenig wie ein Smart Home Produkt das Zuhause bereits für jeden einfacher macht.

Die Möglichkeiten einer inklusiven Digitalisierung sind für die Wohnungswirtschaft enorm - wenn sie die Konzepte entlang der bestehenden technologischen Möglichkeiten und des gesellschaftlichen Wandels inklusiv entwickelt und denkt. Inklusiv bedeutet dabei, dass alle Gesellschaftsteile auch wirklich daran teilhaben können und weder höhere Anpassungsleistungen für Einige erfordert (Integration), noch dass diese ausgeschlossen werden (Exklusion). Dabei stehen im ersten Schritt keine Produkte, Hersteller oder Lösungen im Vordergrund. Es geht vielmehr darum, in Workshops, Brainstorming-Sessions und Analysen die gedankliche Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz eben jener inklusiven Lösungen zu schaffen. Das spart im Übrigen auch unnötige Kosten für spätere Anpassungen, Aufrüstungen und Technologiewechsel innerhalb der schönen neuen, und von nun an auch integrativen Welt.

Benjamin BrandlAutor: Benjamin Brandl

Über ACP Digital & Inclusify:
ACP Digital und das Tochterunternehmen Inclusify sind Teil der ACP. Mit über 2.000 Mitarbeitern und über 50 Standorten in Deutschland und ÖsterreicFotos: © Inclusify

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