Mietrecht
Grenzen der Zumutbarkeit von Trompetenspiel

MusikDer Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in seinem Urteil vom 26. Oktober 2018 mit den Anforderungen und Grenzen an das Musizieren beschäftigt. Die Bewohner eines Reihenhauses wollten erreichen, dass das als Lärmbelästigung empfundene Trompetenspiel unterbunden wird.

Sachverhalt

Die Bewohner eines Reihenhauses fühlten sich von den Nachbarn des anliegenden Reihenhauses durch Lärmbelästigungen aufgrund von Trompetenspiel beeinträchtigt. Der Trompete spielende Nachbar ist Berufsmusiker. Er übt im Erdgeschoss und in einem Probenraum im Dachgeschoss Trompete, nach eigenen Angaben maximal 180 Minuten am Tag und regelmäßig nicht mehr als an zwei Tagen pro Woche unter Berücksichtigung der Mittags- und Nachtruhe. Zudem unterrichtet er zwei Stunden wöchentlich externe Schüler. Die andere Nachbarin spielt keine Trompete. Die betroffenen Bewohner wollten erreichen, dass die Nachbarn geeignete Maßnahmen ergreifen, damit sie das Spielen von Musikinstrumenten auf ihrem Anwesen nicht mehr hören.

Diesem Antrag hatte das Amtsgericht stattgegeben. Auf die Berufung der Nachbarn hatte das Landgericht das Urteil geändert und die Nachbarn gesamtschuldnerisch verurteilt,
  • die Erteilung von Musikunterricht an Dritte insgesamt zu unterlassen
  • es zu unterlassen, auf dem eigenen Grundstück Instrumentalmusik zu spielen; davon ausgenommen ist nur das Dachgeschoss. Dort darf für maximal zehn Stunden pro Woche werktags (von Montag bis Freitag) zwischen 10.00 und 12.00 Uhr und 15.00 und 19.00 Uhr musiziert werden, und der Berufsmusiker darf an maximal acht Samstagen oder Sonntagen im Jahr zwischen 15.00 und 18.00 Uhr jeweils maximal eine Stunde Trompete üben.

Mit der von dem BGH zugelassenen Revision wollten die Nachbarn erreichen, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird; die Bewohner des Reihenhauses wollten im Wege der Anschlussrevision das Urteil des Amtsgerichts wiederherstellen lassen.

Entscheidung

Der BGH hat auf die Revision der Nachbarn und unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Bewohner des Reihenhauses die Anschlussrevision gegen die Nachbarin abgewiesen und die Sache im Übrigen an das Landgericht zurückverwiesen. Nach Auffassung des BGH besteht gegen die (nicht musizierende) Nachbarin von vornherein kein Unterlassungsanspruch. Ihre Verurteilung käme nur dann in Betracht, wenn sie als sogenannte „mittelbare Handlungsstörerin“ verpflichtet wäre, gegen das Musizieren des Trompeters einzuschreiten. Dies sei nicht der Fall, weil er das Haus als Miteigentümer und damit aus eigenem Recht nutze.

Auch die Verurteilung des (musizierenden) Nachbarn könne nicht Bestand haben. Das Landgericht habe bei einem richterlichen Ortstermin festgestellt, dass das Trompetenspiel des Berufsmusikers im Dachgeschoss im Wohnzimmer der Bewohner (Erdgeschoss) nicht und in deren Schlafzimmer (Dachgeschoss) nur leise zu hören sei, während das Trompetenspiel im Wohnzimmer (Erdgeschoss) im angrenzenden Wohnzimmer der Bewohner als „schwache Zimmerlautstärke“ zu vernehmen sei. Im Ausgangspunkt stehe den Bewohnern als Nießbrauchern eines Hauses gegenüber dem Nachbarn, der sie durch Geräuschimmissionen stört, grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zu.

Der Abwehranspruch sei jedoch ausgeschlossen, wenn die mit dem Musizieren verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich seien. Das sei anzunehmen, wenn sie in dem Haus der Bewohner nach dem Empfinden eines „verständigen Durchschnittsmenschen" nicht als wesentliche Beeinträchtigung einzuordnen seien; die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung könne nur auf Grund wertender Beurteilung festgesetzt werden. Insoweit habe das Landgericht einen zu strengen Maßstab zugrunde gelegt. Das häusliche Musizieren einschließlich des dazugehörigen Übens gehöre zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung und sei aus der maßgeblichen Sicht eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ in gewissen Grenzen hinzunehmen, weil es einen wesentlichen Teil des Lebensinhaltes bildet und von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben sein könne; es gehöre – wie viele andere übliche Freizeitbeschäftigungen – zu der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit.

Andererseits solle auch dem Nachbarn die eigene Wohnung die Möglichkeit zur Entspannung und Erholung und zu häuslicher Arbeit eröffnen, mithin auch die dazu jeweils notwendige, von Umweltgeräuschen möglichst ungestörte Ruhe bieten. Ein Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen könne im Ergebnis nur durch eine ausgewogene zeitliche Begrenzung des Musizierens herbeigeführt werden. Dabei habe ein Berufsmusiker, der sein Instrument im häuslichen Bereich spiele, nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als ein Hobbymusiker und umgekehrt.

Wie die zeitliche Regelung im Einzelnen auszusehen habe, richte sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der Geräuscheinwirkung, der Art des Musizierens und den örtlichen Gegebenheiten; eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen, jeweils unter Einhaltung der üblichen Ruhezeiten in der Mittags- und Nachtzeit, könne als grober Richtwert dienen. Die örtlichen Gegebenheiten seien ebenfalls von Bedeutung. Könnten die Geräuscheinwirkungen erheblich verringert werden, indem in geeigneten Nebenräumen musiziert werde, könne es aufgrund nachbarlicher Rücksichtnahme geboten sein, das Musizieren in den Hauptwohnräumen zeitlich stärker einzuschränken; das gelte insbesondere dann, wenn auf Seiten des Nachbarn besondere Umstände wie eine ernsthafte Erkrankung eine gesteigerte Rücksichtnahme erforderten.

Das Musizieren in den Hauptwohnräumen des Hauses könne aber nicht gänzlich untersagt werden. Auch die zeitlich begrenzte Erteilung von Musikunterricht könne je nach Ausmaß der Störung noch als sozialadäquat anzusehen sein. Die Festlegung der einzuhaltenden Ruhezeiten müsse sich an den üblichen Ruhezeiten orientieren; im Einzelnen hätten die Gerichte einen gewissen Gestaltungsspielraum. Ein nahezu vollständiger Ausschluss für die Abendstunden und das Wochenende, wie ihn das Berufungsgericht vorgesehen habe, komme jedoch nicht in Betracht. Dies ließe nämlich außer Acht, dass Berufstätige, aber auch Schüler häufig gerade abends und am Wochenende Zeit für das Musizieren fänden.

Nach alledem werde hier das Trompetenspiel im Dachgeschoss, das nach den Feststellungen des Landgerichts ausschließlich im Schlafzimmer der Bewohner leise zu vernehmen sei, zur Mittags- und Nachtzeit als wesentlich, zu den übrigen Zeiten aber jedenfalls für etwa drei Stunden werktäglich (und eine entsprechend geringere Zeitspanne an Sonn- und Feiertagen) als unwesentlich anzusehen sein. Dann stünden dem Berufsmusiker im Dachgeschoss relativ großzügige Zeiträume zur Verfügung; infolgedessen könnte das Trompetenspiel in den Haupträumen engeren zeitlichen Grenzen unterworfen werden.

Jedenfalls sollte das tägliche Musizieren in dem Haus etwa drei Stunden werktags (und eine entsprechend geringere Zeitspanne an Sonn- und Feiertagen) insgesamt nicht überschreiten. Entstünden durch den Musikunterricht lautere oder lästigere Einwirkungen und damit eine stärkere Beeinträchtigung der Bewohner, müsse dieser gegebenenfalls auf wenige Stunden wöchentlich beschränkt werden; sofern sich das Dachgeschoss zu der Unterrichtserteilung eigne, könnte das Landgericht vorgeben, dass der Unterricht nur dort stattfinden dürfe. Die Sache sei hinsichtlich der Berufung des Berufsmusikers an das Landgericht zurückzuverweisen gewesen, damit es Feststellungen dazu treffe, welche Störungen durch den Musikunterricht entstünden, und damit es die Zeiten, zu denen musiziert werden dürfe, abschließend festlegen könne (Urteil des BGH vom 26. Oktober 2018, Az.: V ZR 143/17).

Foto: © Udo Koranzki

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