EED und Messdienstleistung
Neuausrichtung der Messinfrastruktur bei der GWW, Wiesbadener Wohnungsbaugesellschaft


Neue regulatorische Vorgaben

Der Markt der Messdienstleistung steht vor einem gravierenden Wandel. Durch die Energieeffizienzrichtlinie der Europäischen Union (EED) und die kommende Novellierung der Heizkostenverordnung sollen Messgeräte fernausgelesen und Mietern monatliche Verbrauchsinformationen zur Verfügung gestellt werden. Die Ermächtigungsgrundlage für die Novellierung der Heizkostenverordnung, das Gebäudeenergiegesetz (GEG), wurde Anfang Juli 2020 verabschiedet. Das GEG fordert zukünftig die Interoperabilität der Messgeräte und einen Zugang zu den Verbrauchsdaten bei Lieferantenwechsel. Damit ist eine Wachablösung der proprietären Systeme der Messdienstleister zementiert. Ziel ist die Trennung von Messgerät und Abrechnungsdienstleistung. Damit ergeben sich für Wohnungsunternehmen neue Chancen, Teile der Wertschöpfungskette für die Erstellung einer Heizkostenabrechnung selbst zu übernehmen.

Ausgangsituation der GWW

Wertschöpfungsprozesse Heizkostenabrechnung
Beispielhafte Wertschöpfungsbereiche für Wohnungsunternehmen | © GWW
Diese Entwicklungen führten zu strategischen Überlegungen innerhalb der GWW. Man entschied sich, ein Projekt aufzusetzen und einen spezialisierten Berater für die Analyse, Entscheidungsfindung und Umsetzung hinzuzuziehen. In der Analysephase des Projektes wurden verschiedene Varianten diskutiert, ob und wie ein Einstieg in die Selbstabrechnung erfolgen kann. Welche Wertschöpfungsstrategie ist sinnvoll und passt zur GWW? Soll der gesamte Prozess inklusive des Gerätemanagements oder sollen nur Teilprozesse aus dem Abrechnungsbereich abgebildet und integriert werden? Oder ist es sinnvoller, erstmal die GWW-eigenen Prozesse zu optimieren und im Rahmen einer Ausschreibung Preise und Konditionen zu verbessern sowie Qualität und Service nachhaltig vertraglich abzusichern? Die Anbieterseite ist zudem offener geworden: Themen, die noch vor wenigen Jahren auf Messdienstseite Tabu waren wie eine reine Hardwarelieferung von Messgeräten oder die Nutzung von Software zur Heizkostenabrechnung in einer Kundenlösung, erweitern heute die Bandbreite der Handlungsoptionen.

GWW Strategie

Auf Basis der Diskussionen und Abwägungen entscheidet sich die GWW für eine Ausschreibung, innerhalb derer Prozesse, Strukturen und Konditionen optimiert werden sollten. Unabhängig von der späteren Umsetzungsstrategie steht am Anfang eine detaillierte Analyse des Abrechnungsbestandes. Die GWW arbeitet in der Ausgangssituation mit vier Messdiensten bei Heizkostenabrechnung und Rauchwarnmeldern zusammen. Es gilt, die vorhandenen Verträge, Rahmen- und alle Einzelverträge bezüglich ihrer Laufzeiten, Preise und Konditionen zu prüfen. Auf Basis dieser Analyse entscheidet sich die GWW für eine Ausschreibung, mit der eine Zwei-Lieferanten-Strategie verfolgt werden soll. Zusätzlich soll mit den Anbietern eine Exit-Lösung vertraglich vereinbart werden, mit der der Einstieg in Teilbereiche der Selbstabrechnung nach drei bis fünf Jahren ermöglicht werden soll. Des Weiteren wird die Lieferung sogenannter plausibilisierter Werte vereinbart – ein Einstieg ins Gerätemanagement ist vorerst nicht angedacht. Vor dem Hintergrund, dass mittelfristig IT und ERP-System der GWW modernisiert werden, wird man diesen Schritt sinnvollerweise abwarten. Die Voraussetzung für eine Übernahme von Teilen der Wertschöpfungskette und sogenannte „Smart Solutions“ sind deshalb ein wichtiges Entscheidungskriterium für die Auswahl des zukünftigen ERP-Systems.

Prozessoptimierung & Qualitätssicherung

Ein weiteres Ziel der Ausschreibung ist es, Prozesse für die Mitarbeiter des Betriebskostenteams zu vereinfachen, die Servicequalität mit den Partnern zu messen und sich in Form von Audits und Pönalen bei Schlechtlieferung abzusichern. „Ziel ist die nachhaltige Verbesserung der Zusammenarbeit und dafür brauchen wir Transparenz in den Prozessen und Messbarkeit“, so Nina Gierens, Teamleiterin Betriebskostenmanagement bei der GWW Die Einhaltung der vereinbarten Kennzahlen des Service-Level-Agreements (SLAs) zu Durchlaufzeiten und Fehlerquoten wird in einem jährlichen Audit besprochen.

Harmonisierung Laufzeiten

Vertragsdschungel
Vertragsdschungel vor Ausschreibung | © GWW
Insbesondere die unterschiedlichen Eichfristen für Kaltwasser-, Warmwasser- und Wärmezähler sowie die vertraglich vereinbarte Nutzungsdauer elektronischer Heizkostenverteiler verursacht bei einem Anbieterwechsel Kosten. Die damit möglicherweise anfallenden Restmietraten erschweren so den Aufbau eigener Aktivitäten. Ein weiterer Kernpunkt auf der Ausschreibungs-Agenda der GWW ist deshalb die Auflösung des Vertragsdschungels auf Liegenschaftsebene durch die Harmonisierung der Laufzeiten bei Wasserzähler/Wärmezähler von fünf Jahren und Heizkostenverteilern von zehn Jahren, so dass alle Messgeräte über die Vertragslaufzeit umgerüstet werden und die Verträge der Zähler zeitgleich alle fünf Jahre und die der Heizkostenverteiler zeitgleich alle nach zehn Jahre enden. So behält das Wohnungsunternehmen die Zügel in der Hand und kann bei Bedarf einen gewünschten Lieferantenwechsel ohne teure Restmietraten durchführen. Hierzu werden bei der GWW mit den Messdiensten jährlich die anstehenden Umrüstungen analysiert und in einem jährlichen Umrüstungsplan für die jeweils folgende Abrechnungsperiode abgestimmt und vereinbart.

Geräte und Services

Bei der Geräteauswahl entscheidet sich die GWW für Interoperabilität mit einer offenen Geräteplattform auf Basis von OMS (Funkprotokoll im Open Metering System). Für den Prokuristen Jürgen Dittmar ein wichtiges Kriterium für die Lieferantenauswahl: „Die Digitalisierung hat gerade erst angefangen. Wir wollen uns alle Optionen für die Zukunft offenhalten.“ Da in Zukunft nur noch fernauslesbare Messgeräte eingebaut werden sollen, ist die Nutzung zertifizierter Gateways und die systemische Einbindung der Rauchwarnmelder eine naheliegende Überlegung. Die vielen Abrechnungs- und Preispositionen der Messdienstleister sind für das Team von Nina Gierens bei der jährlichen Rechnungsprüfung eine Herausforderung. Die GWW entscheidet sich, die Preispositionen deutlich zu reduzieren und nur noch zwei Preise auf Wohnungsebene zuzulassen, eine für die Auslesung sowie eine für die Erstellung der Abrechnung. Die zweite enthält schon die zukünftigen Anforderungen der Energieeffizienzrichtlinie (EED), das heißt die Umstellung auf Fernablesung sowie das monatliche Energiemonitoring für den Mieter.

Preise

Im Vorfeld der Ausschreibung findet eine umfassende Erhebung der Restmietraten statt, auf deren Basis die angefragten Messdienste eine tiefergehende Kalkulation aufbauen können. Denn schließlich soll es trotz deutlich gestiegener Geräteanforderungen und zusätzlicher Services nicht teurer für die Mieter werden. Im Ergebnis konzentriert sich die Wohnbaugesellschaft GWW auf zwei Lieferanten und kann mit diesen aufgrund der höheren Volumina sogar bessere Preise vereinbaren. „Damit haben wir für beide Seiten eine Win-Win-Situation und so sollte es sein in einer guten Vertragspartnerschaft“, kommentiert Jürgen Dittmar.

Fazit

Wohnungsunternehmen müssen gut abwägen, ob und wie sie in das Thema der Heizkostenabrechnung einsteigen. Die GWW hat sich für einen Zwischenschritt entschieden, mittelfristig alle für das Unternehmen wichtigen Punkte der Zusammenarbeit mit Messdienstleistern in einer Ausschreibung zu optimieren und gleichzeitig die vertragliche Voraussetzung geschaffen, perspektivisch weitere Teile der Wertschöpfungskette in ihre eigenen Prozesse zu integrieren. Diese werden in einem aktuellen Projekt geprüft und validiert.

Autor: Peter Gerhardt, Geschäftsführer Synectis CONSULT, Bad Soden