Interview mit RA und Notar Matthias Wilke


VdWaktuell: Herr Wilke, können Sie sagen, welche Sachverhalte beim Auftreten von Schadstoffen in Gebäuden besonders praxisrelevant sind (bspw. Arbeitsschutz, Haftung)?

Wilke: In der Praxis sind beim Auftreten von Schadstoffen vor allem die Verletzung von arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften und die Störung der Vertragsbeziehungen zwischen den einzelnen Baubeteiligten von Bedeutung. Werden Arbeitsschutzbehörden oder die Berufsgenossenschaft auf den unsachgemäßen Umgang mit Schadstoffen aufmerksam, drohen die Einstellung der Arbeiten und die Einleitung von Bußgeldverfahren gegen die betroffenen Unternehmen. Darüberhinaus liegt auf der Hand, dass insbesondere das unerwartete Auftreten von Schadstoffen während der Ausführung von Arbeiten erhebliche Auswirkungen auf die Abwicklung der Planer- und Bauverträge haben wird. Unabhängig von einem möglichen Stillstand der Baustelle ist von Seiten der ausführenden Unternehmen regelmäßig mit Behinderungsanzeigen und Nachtragsforderungen zu rechnen. Dem Bauherrn drohen damit erhebliche wirtschaftliche Einbußen und zwar nicht nur durch schlechte Preise in Nachträgen, sondern auch durch Bauzeitverzögerungen und die damit beispielsweise verbundenen Mietausfälle. Als Konsequenz daraus wird er Regressforderungen gegenüber Planern und Gutachtern u. a. wegen der Verletzung von Hinweis- und Beratungspflichten prüfen.

VdWaktuell: Kann bei einer Schadstoffbelastung auch der Eigentümer von Behörden als Verantwortlicher herangezogen werden?

Wilke: Der Eigentümer ist zunächst Verantwortlicher im Sinne des Bauordnungsrechts. Diese Verantwortlichkeit besteht auch außerhalb baulicher Vorgänge während der bloßen Nutzung eines Gebäudes. Im Hinblick auf mögliche Schadstoffbelastungen regeln die Landesbauordnungen, dass bei baulichen Anlagen durch chemische oder biologische Einflüsse keine Gefahren oder unzumutbare Belästigungen entstehen dürfen. Wird beispielsweise in einem baurechtlich genehmigten Bestandsgebäude Asbest festgestellt und ist mit der Asbestbelastung eine konkrete Gefahr für die Gesundheit der Nutzer verbunden, sind die Baubehörden grundsätzlich verpflichtet, gegenüber dem Eigentümer die Durchführung von Schutz- oder Beseitigungsmaßnahmen und ggf. sogar ein Nutzungsverbot für die betroffenen Räume anzuordnen.

Darüber hinaus ist der Eigentümer als Bauherr in eingeschränktem Maße auch für die Einhaltung des Arbeitsschutzes auf der Baustelle mitverantwortlich. Dies ergibt sich aus der Baustellenverordnung, die sich ausdrücklich auch an den Bauherrn als Adressaten richtet.
Allerdings besteht für den Bauherrn die Möglichkeit, diese Verantwortlichkeit auf die ausführenden Unternehmen, insbesondere Generalübernehmer und Generalunternehmer, zu übertragen.

VdWaktuell: Gibt es gesetzliche Verpflichtungen zur Durchführung von vorbeugenden erkundenden Untersuchungen auf Schadstoffe auf einer Baustelle?

Wilke: Aus einem Diskussionspapier des VDI (Verein Deutscher Ingenieure) und des GVSS (Gesamtverband Schadstoffsanierung) aus dem Jahre 2015 wissen wir, dass in 25 % der vor 1995 errichteten Bestandsgebäude latente Asbestbelastungen, insbesondere in Putzen, Spachtelmassen und Fliesenkleber, vorhanden sind. Seither hat es immer wieder Versuche gegeben, aus gesetzlichen Bestimmungen eine Verpflichtung des Eigentümers und/oder des Bauherrn zur Durchführung vorbeugender (erkundender) Untersuchungen von Gebäuden auf Schadstoffbelastungen zu begründen. Nach bestehender Gesetzeslage ist dies jedoch nicht möglich.

Soweit teilweise aus den Generalklauseln der Landesbauordnungen eine derartige Verpflichtung abgeleitet worden ist, steht dem die Prägung des Bauordnungsrechts als Gefahrenabwehrrecht und damit die Schwierigkeit entgegen, ohne objektbezogene Anhaltspunkte eine vom Gebäude ausgehende konkrete Gefahr zu begründen.

Die zum Arbeitsschutzrecht gehörenden Vorschriften des technischen Arbeitsschutzes (Gefahrstoffverordnung in Verbindung mit den technischen Regelwerken) wiederum richten sich bislang – mit Ausnahme der bereits erwähnten Baustellenverordnung – ausschließlich an den Arbeitgeber und nicht an den Bauherrn. Diesem wird nur eine passive Rolle als Geber von Informationen zugewiesen. Dies könnte sich allerdings in Zukunft ändern, da der Gesetzgeber im Chemikaliengesetz nunmehr eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen hat, dass in der Gefahrstoffverordnung künftig weitergehende Mitwirkungspflichten des Bauherrn geregelt werden können.

Die Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes schließlich führen zwar zu einem faktischen Zwang für den Bauherrn, vor der Durchführung von Abbruchmaßnahmen ein Abbruch- und Entsorgungskonzept zu beauftragen. Immerhin drohen bei einer unsachgemäßen Abfallfraktionierung und -deklarierung erhebliche Mehrkosten und die Einleitung von Bußgeldverfahren. Eine unmittelbare Pflicht des Bauherrn zur Durchführung von vorbeugenden erkundenden Untersuchungen lässt sich jedoch auch aus dem Abfallrecht nicht ableiten.

VdWaktuell: Was können Sie Wohnungsunternehmen raten, wenn in Bestandsobjekten mit dem Auftreten von Schadstoffen zu rechnen ist?

Wilke: Wenn vor der Planung und Ausführung von Baumaßnahmen Schadstoffe bekannt sind oder im Hinblick auf das Baujahr der Gebäude mit dem Auftreten von Schadstoffen gerechnet werden muss, sollten Wohnungsunternehmen von sich aus erkundende Untersuchungen beauftragen. Dies schafft Planungs- und Kostensicherheit und eröffnet auch die Chance, notwendig werdende Sanierungsmaßnahmen mit den Mietern abzustimmen. Wenn man aufgeregte Mieterreaktionen und Negativschlagzeilen in den Medien vermeiden will, ist eine frühzeitige Identifizierung vorhandener Schadstoffbelastungen verbunden mit kluger Mieterkommunikation der Königsweg.

Zur Person:
Rechtsanwalt und Notar Matthias Wilke ist Partner und Gesellschafter bei der Rechtsanwaltsgesellschaft SMNG in Frankfurt. Er ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Vorsitzender des Fachausschusses für Bau- und Architektenrecht der Rechtsanwaltskammer Frankfurt. Als Referent trägt er regelmäßig bei Seminaren zum öffentlichen Baurecht sowie zum Thema Gebäudeschadstoffe vor. Er ist einer der Autoren des 2014 in 2. Auflage erschienenen Fachbuchs „Schadstoffe in Innenräumen und an Gebäuden – Erfassen, Bewerten, Beseitigen“.

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